Klima auf der Kippe
Mit symbolischer Klimapolitik in die Katastrophe
Was im politischen Geschäft Gang und Gäbe ist, die realen Vorgänge hinter einer Oberfläche symbolischer Politik verschwinden zu lassen, kann in der Klimapolitik nicht gelingen. Denn das Klimasystem verfügt, im Gegensatz zum „informierten Vergessen“ moderner Gesellschaften, über ein unbestechliches Gedächtnis, dass keine Tonne zusätzlicher Treibhausgase und keinen gefällten oder verbrannten Baum vergessen kann und diese „Geschichte“ beständig in steigende Treibhausgaskonzentrationen und Temperaturen übersetzt und öffentlich macht. Das Klimasystem lässt sich nicht manipulieren, auch wenn das manche meinen,- es kennt nur die Realität der physikalischen Wahrheit. Die Klimakonferenz von Katowice wird im Klimagedächtnis CO2- Spuren auf Grund erhöhter Flugaktivität hinterlassen, aber wahrscheinlich nicht den Zeitpunkt markieren, ab dem sich der immer steilere Anstieg der Fieberkurve des Planeten allmählich wieder abzumildern begann.
Die Jahre von 2014 bis 2017 waren die bisher heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Das Jahr 2018 mit seinen weltweiten Hitzewellen und Dürren, austrocknenden Flüssen und verheerenden Waldbränden fand also vor dem Hintergrund einer bereits beschleunigt zunehmenden globalen Erwärmung statt. Nach Angaben der UN-Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hat sich die Konzentration des Treibhausgases Kohlendioxid in der Atmosphäre seit 2015, dem Jahr der Pariser Klimakonferenz, weiter erhöht und erreicht beständig neue Rekordwerte. Nach 400 ppm (Teilchen Kohlendioxid pro eine Million Luftteilchen) im Jahr 2015 sind es heute schon mehr als 407 ppm. Noch nie sei die Konzentration an Treibhausgasen in der Erdatmosphäre so schnell gestiegen wie in den vergangenen Jahren. Die Weltklimaorganisation WMO warnt: Wenn der CO2-Gehalt weiter rapide steigt, könnten beispiellose Klimaveränderungen "mit schweren ökologischen und wirtschaftlichen Störungen" ausgelöst werden. Eine derart hohe Treibhausgaskonzentration wie heute gab es zum letzten Mal vor drei bis fünf Millionen Jahren (Klimaerwärmung, Wir vererben einen unwirtlichen Planeten ZEIT ONLINE, 30.10.2017). Der Weltklimarat IPCC, betont in seinem jüngsten Sonderbericht (IPPC, Sonderbericht zur Erderwärmung von 1.5 Grad, 2018), dass bereits eine Erderwärmung von 2 Grad sehr viel gravierendere Folgen haben würde als eine von 1.5 Grad. Doch die Welt bewegt sich immer schneller auf noch sehr viel höhere Temperaturen zu. Selbst wenn die, beim Pariser Klimagipfel eingegangenen Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen eingehalten würden, würde sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um mindestens 3.2 Grad erwärmen. Ohne reale Emissionsreduzierungen wäre die Erderwärmung natürlich noch stärker,- sie läge bei 4 oder 5 Grad und würde die Erde in den lebensfeindlichen Zustand einer Heisszeit versetzen. Wenn die Emissionen sogar noch weiter ansteigen, dann tritt dieser Zustand natürlich noch schneller ein und es muss mit einer Erderwärmung von 8 Grad und mehr gerechnet werden, was die Erde weitgehend unbewohnbar machen würde.
Nun, die Verpflichtungen zur Reduzierung der Emissionen werden nicht eingehalten und die weltweiten Emissionen sind im Jahr 2017 um 1.7% und im Jahr 2018 sogar um etwa 2-3 % gestiegen.
Drei Jahre nach der historischen Pariser Klimakonferenz muss eine verheerende Bilanz der weltweiten klimapolitischen Bemühungen gezogen werden. Die Welt steuert ungebremst, ja sogar beschleunigt auf eine globale Katastrophe zu. Vom klimapolitisch Nötigen und einer Begrenzung der Erderwärmung, ist die Welt weiter entfernt denn je. Die in Paris beschlossenen Maßnahmen und Mechanismen reichen offensichtlich nicht aus, um die Erderwärmung zu begrenzen und die Klimakatastrophe zu verhindern.
Zwar ist das Pariser Klimaabkommen ratifiziert und völkerrechtlich verbindlich, doch real ist es unverbindlich und wirkungslos, was sich auch durch die Klimakonferenz im polnischen Katowice (COP 24) nicht geändert hat. Die Nichteinhaltung von eingegangenen Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen bleibt weiterhin ohne Folgen.
Die Erhöhung von Verpflichtungen und Ambitionen, die dann gar nicht realisiert werden, nutzt aber weder den Menschen noch dem Klima und scheint eher der Beruhigung der Öffentlichkeit zu dienen. Wie auch die Rede von der noch möglichen Einhaltung der 1.5 Grad- Grenze des Pariser Abkommens Beruhigendes suggeriert: Wenn wir noch unter 1.5 Grad bleiben können, dann kann es noch nicht so schlimm sein. Wenn wir erst bei einem Grad Erderwärmung sind, ist ja noch Zeit. Wenn wir aber noch auf der sicheren Seite sind, dann ist auch
noch etwas Wirtschaftswachstum möglich und ein Überschreiten der Temperaturgrenzen (Overshoot) ist dann auch nicht so schlimm, das können wir ja später wieder rückgängig machen… Dass dies möglicherweise auch das Überschreiten entscheidender Kipppunkte im Klima- und Erdsystem und somit den Übergang in eine sich selbst verstärkende Phase der Erderwärmung bedeuten könnte, scheint der Politik und der Öffentlichkeit nachwievor nicht hinreichend klar zu sein, wie die Nichteinhaltung der selbst gesetzten Reduktionsziele und die weltweit wieder stark steigenden Emissionen zeigen. Können wir das der Erde wirklich noch zumuten? Sind wir wirklich noch auf der sicheren Seite? Und wie viel Zeit haben wir überhaupt noch?
Der Stand der Dinge
Wir sind von einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1.5 Grad bereits so weit entfernt, dass davon eigentlich längst nicht mehr ernsthaft die Rede sein dürfte, äußerte sich der russische Vertreter in Katowice kritisch.
Womit er nicht ganz Unrecht hat. Zum Einen wissen wir nicht, wie verlässlich die Zahlen über die Erderwärmung wirklich sind, auf denen all diese Berechnungen über verbleibende Emissionsbudgets und noch offene Zeitfenster beruhen. Die Erderwärmung beträgt jetzt schon über ein Grad, ohne dass überhaupt alle Veränderungen berücksichtigt worden sind. Wenn man z.B. die immer stärkere Erwärmung der Arktis, die sich ja zwei bis dreimal so schnell erwärmt wie der Rest des Planeten und die der Antarktis in die globale Mitteltemperatur mit einberechnen würde (vom Weltklimarat IPCC wegen vorgeblich unsicherer Datenlage nicht erfasst), dann haben wir real möglicherweise bereits 1.2 Grad und mehr erreicht? Ohnehin ist durch die bereits emittierten Treibhausgase eine weitere Erwärmung von 0.6 Grad faktisch unvermeidlich (siehe: IPCC 2014, Naturwissenschaftliche Grundlagen, Häufig gestellte Fragen, Klima- FAQ 12.3/ Emissionen, 2017 und Schellnhuber, H.-J., Ich möchte nicht recht haben, Frankfurter Rundschau, 28.11.2015). Also auch bei einem sofortigen weltweiten Übergang zu Null Emissionen, würde sich die Erde aufgrund der bereits freigesetzten Treibhausgase noch um mindestens 0.5 Grad weiter erwärmen, ehe sich der erhöhte Strahlungsantrieb vollständig als Erwärmung realisiert hätte.
Das bedeutet, wir haben jetzt bereits eine unvermeidliche Erderwärmung von 1.6- 1.8 Grad verursacht, eine Begrenzung auf 1.5 Grad ist also gar nicht mehr möglich.
Wenn man jetzt noch die schwindenden CO2- Senken und die Auswirkungen von Kippprozessen berücksichtigt, die der IPCC in seinen Berechnungen gleichfalls ausklammert (siehe Hans-Josef Fell, Seien wir realistisch! Der Rabe Ralf, April/ Mai 2018), dann wird der wirkliche Ernst der Lage deutlich.
Eine neue Klimastudie (W. Steffen, J.Rockström et al, Trajectories of the Earth System on the Anthropocene, 2018), unter Beteiligung von renommierten Wissenschaftlern, lässt Schlimmes befürchten.
Der Planet könnte durch verschiedene Rückkopplungsprozesse im Klima- und Erdsystem in ein dauerhaftes Supertreibhaus-Klima abrutschen. Auf dieser „Hothouse Earth“ gäbe es 4-5 Grad höhere Temperaturen und einen verstärkten Meeresspiegelanstieg von bis zu 60 Metern. Grund dafür sind Kippelemente im Klimasystem, die eine noch stärkere Erwärmung, auch ohne weiteres menschliches Zutun, bewirken könnten.
„…Kippelemente können sich, – sobald ein bestimmtes Belastungsniveau einmal überschritten ist – grundlegend, schnell und möglicherweise irreversibel verändern. Gewisse Kaskaden solcher Ereignisse könnten das gesamte Erdsystem in eine neue Betriebsweise kippen“, sagt Hans Joachim Schellnhuber, der scheidende Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Die roten Linien für einige der Kippelemente liegen wohl genau im Pariser Korridor zwischen 1,5 und 2 Grad Erwärmung.
Vor dem Point of no returne?
Wir wissen also gar nicht genau, ob wir uns noch vor oder möglicherweise schon hinter dem planetarischen Kipppunkt befinden, der schon bei etwa 1.8 Grad erreicht sein könnte. Längst beschleunigen auch bisher eher unterschätzte Kippelemente die Erderwärmung, wie dieses Jahr besonders deutlich machte.
Durch die weltweiten Waldbrände haben bereits selbstverstärkende Effekte eingesetzt, die man erst bei höheren Temperaturen erwartet hatte und die durch die veränderte atmosphärische Zirkulation noch zusätzlich verstärkt werden. Offenbar befinden wir uns längst im Hochrisikobereich der „Tipping Points“.
„Es gibt kein CO2- Budget mehr!“, sagt denn auch Hans-Josef Fell völlig zu recht und also auch keine zeitlichen Spielräume. Die lange Bank, auf die bisher alles geschoben wurde, erweist sich als viel kürzer als bisher gedacht und an ihrem Ende kippt das System Erde in einen anderen Zustand.
Prof. Schellnhuber:„Was wir derzeit noch nicht wissen, ist, ob das Klimasystem sicher bei etwa 2°C über dem vorindustriellen Niveau ‚geparkt‘ werden kann, wie es das Pariser Abkommen vorsieht. Oder ob es, einmal so weit angestoßen, weiter abrutschen würde in ein dauerhaftes Supertreibhaus-Klima.“ Nach PIK-Angaben würde das bedeuten, dass sich der Klimawandel dann selbst verstärkt - "auf lange Sicht, über Jahrhunderte und Jahrtausende". Ein „Überschwingen der Grenzen“, wie es völlig verharmlosend heißt, ist offenbar ein unkalkulierbares Risiko. Der „Overshoot“, also das Überschreiten kritischer Temperaturgrenzen, wäre höchstwahrscheinlich nicht zeitweilig, sondern endgültig und nicht rücknehmbar (siehe: siehe J. Tallig, Die tödliche Falle, in: „Umwelt Aktuell“, 11/2017, „Einmal Heißzeit und zurück“, in Libell 168, S.9 ff.Juni 2018 und „Die Erde im Jahr 2035“, in:„Tarantel“, 81, S. 24 ff., Juni 2018.). Denn es dürfte nicht nur schwierig, sondern unmöglich sein, erdsystemische Kippprozesse wieder rückgängig zu machen.
Das heißt: Klimaschutz jetzt oder nie,- da ein sich selbst verstärkender Klimawandel nicht mehr gebremst werden kann. Doch ist diese Botschaft bei den Mächtigen der Welt überhaupt angekommen?
Drei Jahre nach dem Pariser Abkommen erreichen die Emissionen, das Wirtschaftswachstum und die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre beständig neue Rekordwerte.
Der Weltklimarat IPCC betont dennoch optimistisch: „Aus naturwissenschaftlicher und technischer Sicht ist eine Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad noch machbar. Allerdings sind dafür "schnelle und weitreichende Veränderungen" ("rapid and far-reaching transitions") in allen wichtigen Sektoren der Weltwirtschaft nötig – in Energie, Industrie, Verkehr, Gebäuden, Städten und Landnutzung. Diese Veränderungen, so heißt es in der "Zusammenfassung für Entscheidungsträger", sind von "beispiellosem Ausmaß". Es geht um reale, sehr schnelle Emissionsreduzierungen von 50% bis 2030 und um die Erreichung von Null- Emissionen bis 2050.
Die UN- Klimakonferenz in Katowice dürfte allerdings die allerletzte Möglichkeit gewesen sein, um die notwendigen, „beispiellosen Veränderungen“ (IPCC) endlich auf den Weg zu bringen.
UN- Generalsekretär Antonio Guterres warnt: „Ein Scheitern wäre nicht nur unmoralisch sondern selbstmörderisch.“ Es wäre auch ein Verbrechen an der Zukunft der Menschheit, muss man hinzufügen, denn wir schaffen jetzt Tatsachen, die von den kommenden Generationen nicht wieder korrigiert werden können.
Doch man hat sich in Katowice mit dem „Kleingedruckten“ beschäftigt und so getan, als liefe alles nach Plan.
Das Große Klimatheater
Die hehren Ziele des Pariser Klimavertrags stehen ja nachwievor nur auf dem Papier und selbst die unverbindlichen Selbstverpflichtungen der Staaten, die ja noch nicht umgesetzt sind und deren Umsetzung immer ungewisser wird, reichen bisher nicht aus, um die Katastrophe zu verhindern, weshalb die Selbstverpflichtungen überprüft und erhöht werden sollen. Als wenn die Erhöhung von Verpflichtungen, schon die Reduktion der Emissionen bedeuten würde. Real gibt es seit Paris gar keine Emissionsreduzierungen, sondern seit 2017 sogar bedrohlich wachsende Emissionen, die 2018 mehr als 3% betragen könnten.
Doch auch die Selbstverpflichtungen zur Reduzierung der Emissionen sollen wachsen.
Die neuerliche wohlmeinende Forderung der EU- Parlamentarier nach einer 55%- Emissionsminderung der EU bis 2030, lässt sich daher erst einmal wunderbar verkaufen, ist allerdings rechtlich nicht bindend.
Schon die Verkündung höherer Reduktionsziele löst Hoffnung und Begeisterung aus. Alles scheint auf dem besten Wege…Man erhöht die Ambitionen und korrigiert die Pläne. Nun, Papier ist bekanntlich geduldig, wie sich immer wieder zeigt.
Massenpsychologisch hat die Erhöhung von Selbstverpflichtungen, Ambitionen und Normen eh schon längst dieselbe Wirkung, wie reale Emissionssenkungen. „Entscheidend ist offenbar nicht mehr, was hinten raus kommt“, wie Helmut Kohl noch meinte, sondern schon das Vorhaben, so als könnten Ambitionen und unverbindliche Selbstverpflichtungen, wenn man sie denn lange genug wiederholt und erhöht, die Gesetze der Ökonomie und Physik außer Kraft setzen. “Die Welt als Wille und Vorstellung“ sozusagen.
Vielleicht sollte man einen Emissionsreduzierungsverpflichtungshandel etablieren, -ähnlich dem Emissionshandel, aber noch wirkungsloser. Das Ganze ist ähnlich absurd, wie einstmals in der DDR die Selbstverpflichtungen im sozialistischen Wettbewerb, die irgendwann wirklicher waren, als die realen Produktionsergebnisse und quasi eine Autosuggestion bewirkten und so den Niedergang verschleierten.
Ganz ähnlich ist es heute: Die Verpflichtung zur Reduzierung der Emissionen ist eigentlich schon die Reduzierung und das Wachstum der Ambitionen und Verpflichtungen ist doch etwas Positives, wie das
Wirtschaftswachstum …und wenn man das Wachstum der Verpflichtungen mit dem Wachstum der Emissionen gegenrechnet, dann passt das irgendwann schon. Allerdings wird das Klima- und Erdsystem dadurch in keiner Weise entlastet,- hinten raus kommt nachwievor viel zu viel CO2 und die verbleibende Zeit zur Begrenzung der Klimakatastrophe wird weiterhin leichtfertig vertan.
In den nächsten zehn Jahren, den wichtigsten der Menschheitsgeschichte, wie viele meinen, muss mit einer Reduzierung der Emissionen um fast 50%, eine ökologische Wende um 180 Grad vollzogen werden.
Seit der Umwelt- und Klimakonferenz in Rio im Jahr 1992, hat sich ja das weltweite Bruttoinlandsprodukt mehr als verdreifacht und die weltweiten CO2- Emissionen und die Zahl der Autos haben sich verdoppelt.
Nun muss man also in 10 Jahren das Ergebnis von 25 Jahren Wachstum wieder halbieren und rückgängig machen, was weit mehr als schöne Worte erfordert.
Notwendig wäre eine belastbare globale politische Rahmensetzung, die Energie, Rohstoffe und vor allem Emissionen erheblich verteuert und damit den globalen Strukturwandel in Richtung Null Emissionen vorantreibt, „denn erst, wenn die planetarischen Begrenzungen, die unser Handeln limitieren, als reale finanzielle und ökonomische Faktoren in Erscheinung treten, erzwingen sie reale Verhaltensänderungen und realen Klimaschutz. Ein verbindliches, durchsetzbares Klimarahmenabkommen sollte die globalen ökonomischen Rahmenbedingungen beeinflussen können, um den Naturverbrauch und die Naturbelastung schrittweise zu verteuern. Dadurch müssten den bisher unverbindlichen Selbstverpflichtungen endlich Taten folgen.“ (siehe J. Tallig, „Earth First: Der Preis des Lebens“, Blätter für deutsche und internationale Politik, 10`2018). Doch die mobilisierende, verbindende Idee einer globalen ökologischen Preis- und Steuerreform ist noch nicht durchgedrungen.
Auf der Klimakonferenz in Katowice wurden auch die Erkenntnisse und Forderungen der Klimawissenschaft nur teilweise in ihrer vollen Tragweite verstanden. Man hat tatsächlich mehr „zur Kenntnis“, als wahr genommen, was wirklich auf dem Spiel steht. Man war offensichtlich nicht wirklich ambitioniert, die Welt zu retten, sondern mehr am störungsfreien Fortgang der Geschäfte interessiert.
Etwas Geld wurde verteilt, die Verpflichtungen bleiben freiwillig und unverbindlich, sollen aber erhöht und überprüft werden. Wohlgemerkt, die Reduzierungspläne und Ambitionen und nicht etwa die realen Reduzierungen, sollen überprüft werden. Weiteres Wirtschaftswachstum wird als unvermeidlich in Kauf genommen (siehe dazu: Kai Kuhnhenn, Wachstum in der Klimawissenschaft: Ein blinder Fleck, 2018) und das eigentlich fast schon unvermeidliche Überschreiten der kritischen Temperaturgrenzen (Overshot) soll notfalls durch spätere CO2- Rückholung mittels Geoengeneering wieder rückgängig gemacht werden.
Das ist unverbindliche, symbolische Klimapolitik, die niemandem wehtut und realen Klimaschutz auf den St. Nimmerleinstag verschiebt und somit das Vorsorgeprinzip missachtet. Der drohende planetare Kipppunkt scheint ein Tabu, - rote Linien, planetarische Leitplanken, eine Deathline, ein Point of no returne, werden als wissenschaftlich ungesichert ausgeklammert. Wenn aber auch nur eine 10 % - Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Erde in eine, sich selbst verstärkende Heisszeit abrutschen könnte, muss sofort alles unternommen werden, um dieses Horrorszenario zu verhindern. Und die Wahrscheinlichkeit ist sicher längst viel höher als 10 %,- wenn man nur an den auftauenden Permafrost und die schwindenden Wälder denkt. Dann aber sind alle Aussagen über angeblich noch vorhandene Emissionsbudgets, zeitweise Überschreitungen von Temperaturgrenzen (Overshoots) und später noch mögliche CO2- Rückholungen hochspekulativ und wiegen die Welt in falsche Sicherheit. Doch statt die enormen Risiken einer sich weiter beschleunigenden Erderwärmung zu beachten und die notwendige Emissionsreduzierung von 50 % bis 2030 jetzt real in Angriff zu nehmen, will man in zwei und in sieben Jahren nochmal schaun, ob man die Klimaschutzambitionen und Reduktionspläne erhöhen muss. Das ist klimapolitischer Ablasshandel, der unsere Klimaschuld gegen gute Absichten verrechnet und den Erlass weiterer Schuld in Aussicht stellt. Damit gelangt man aber nicht in den Himmel, sondern in die Hölle einer lebensfeindlichen Heisszeit.
Das „große Klimatheater“ inszeniert einmal mehr die menschliche Tragödie des Eigennutzes, während die Bühne doch schon in Flammen steht. Diese Wiederholung der Geschichte ist allerdings nur vordergründig eine „Farce“ (Marx), in Wirklichkeit ist sie eine Katastrophe. „Die Tragik der Allmende“ wird zur Tragik des Planeten.
Die Antwort auf das desaströse, einschläfernde klimapolitische „Weiter so“, kann nur ein nationaler
Weckruf für den Klimaschutz sein.
Die nötigen Veränderungen müssen in den Ländern, vor Ort auf den Weg gebracht werden. Hier muss der Widerspruch zwischen Worten und Taten zuerst benannt und aufgehoben werden, um auch global neue Wege gehen zu können. Auch Deutschland erweist sich zusehends als Klimaschutzverhinderer und erfüllt seine Klimaschutzverpflichtungen nicht. Nachdem ihm durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch und den Umbau des Ostens die Hälfte seiner Emissionsreduzierungen quasi geschenkt wurde, verharren die Emissionen auf einem viel zu hohen Niveau und haben sich trotz des enormen Ausbaus der erneuerbaren Energien seit neun Jahren nicht verringert. Die Emissionen im Verkehrssektor sind seit 1990 unverändert viel zu hoch und steigen weiter(siehe Weckruf für den Klimaschutz, Germanwatch und WWF, 2018).
Es zeigt sich längst, dass die Klimakatastrophe nicht nur eine technische, sondern vor allem eine politische Herausforderung ist und viel weniger CO2 nur ohne ständiges Wachstum erreichbar ist. Wir müssen uns entscheiden, ob wir das Klima- und Erdsystem oder das derzeitige Wirtschafts-Energie- und Mobilitätssystem stabilisieren wollen,- beides gleichzeitig geht offenbar nicht. Das ist die unabweisbare Frage, die wir jetzt beantworten müssen, denn die Uhr läuft ab.
Um das Richtige tun zu können, muss man vor allem erst mal aufhören, das Falsche zu tun, was einen grundlegenden Umbau der Gesellschaft erfordert.
Die fossilen Konzerne wollen aber einfach weiter machen wie bisher und trotz Kohlekommission und Abgasskandal noch möglichst lange hohe Gewinne aus ihren, im mehrfachen Sinne fossilen und abgeschriebenen Technologien ziehen. Dass RWE, nach der doch unübersehbaren Beschleunigung des Klimawandels in den letzten Jahren und trotz des geplanten Kohleausstiegs, mit dem Hambacher Forst einen wertvollen Wald zerstören wollte, um noch mehr extrem klimaschädliche Braunkohle verfeuern zu können, zeugt nicht nur von Ignoranz, sondern von ähnlicher krimineller Energie, wie ihn die Autokonzerne bei der Manipulation der Abgaswerte entwickelt haben. Die Autokonzerne wollen wiederum den Verbrennungsmotor über die Zeit retten. obwohl die längst abgelaufen ist. Eine vernunftgeleitete Politik muss endlich die Weichen Richtung Zukunft stellen und den Rahmen für einen schnellen Kurswechsel bei Energie, Verkehr und Landwirtschaft abstecken. Es braucht wirklich endlich einen „Weckruf für den Klimaschutz“ (Germanwatch und WWF, 2018), der sich aber nicht nur auf wohlmeinendes Appellieren beschränken darf, sondern Druck organisieren muss, auf der Straße, durch Aufklärung der Öffentlichkeit, auf dem Rechtsweg, durch zivilen Ungehorsam. Der Wandel kommt nicht von allein, sondern er muss erkämpft werden.
Es ist allerhöchste Zeit, das Primat einer vernunftgeleiteten Politik im Gemeinwohlinteresse durchzusetzen.
Es muss auch juristisch, durch Klagen der Umweltverbände gegen die fossilen Großkonzerne, ein Kurswechsel erzwungen werden. Auch die Bundesregierung muss offensichtlich durch Klagen vorm Verfassungsgericht zur Einhaltung ihrer klimapolitischen Verpflichtungen gezwungen werden. Es ist offenkundig, dass sie mit ihrer klimapolitischen Verschleppungstaktik den fossilen Großkonzernen den Rücken frei hält und damit vielfach gegen geltendes Recht verstößt (F.Ekardt, Paris- Abkommen, Menschenrechte und Klimaklagen, 2018).
Hambach ist überall
Unsere derzeitige Wirtschafts- und Lebensweise bedroht das Leben der Armen und Schwachen dieser Welt und das der vielen Milliarden Menschen, die noch nach uns auf der Erde leben wollen.
Sie ist Ausdruck einer erschreckenden Gleichgültigkeit gegenüber der Zukunft und einer völligen Missachtung und Verkennung des Eigenwertes des vielfältigen Lebens auf der Erde und destabilisiert unseren Heimatplaneten gerade unumkehrbar in einen lebensfeindlichen Zustand.
Wir haben die Älteren damals gefragt, wie konntet ihr die Verbrechen der Nazizeit zulassen, -ihr habt es doch gewusst, Ausschwitz war doch überall. Unsere Kinder und Enkel werden uns fragen: „ Wie konntet ihr die Klimakatastrophe und die Zerstörung der Lebensgrundlagen zulassen? Ihr wart doch bestens informiert über die Zerstörung und die Veränderungen überall. Ihr kanntet den Preis Eures Wohlstands und Eurer Bequemlichkeit. Und ihr habt in keiner Diktatur gelebt…Wie konntet ihr es zulassen?“.
Wir können es nicht zulassen. Wir sind die letzte Generation, die die Klimakatastrophe wenigstens noch begrenzen kann. Wir haben kein Recht zu resignieren, sondern die Pflicht, alles Menschenmögliche zu tun, um die Erde im „grünen Bereich“ zu halten.
50 Jahre nach 68 und fast 30 Jahre nach der ostdeutschen Demokratiebewegung von 89 braucht es eine Bewegung ähnlichen Ausmaßes, um die nötige Klimawende endlich auf den Weg zu bringen.
Es ist an der Zeit, dass die Umweltbewegung den „Burgfrieden“ aufkündigt und wieder auf die Straße geht und die Öffentlichkeit informiert und mobilisiert.
Die ewige Große Koalition des fossilen Machtkomplexes in Wirtschaft und Politik muss unter Druck gesetzt und schnellstens beendet werden. Eine Koalition der Vernunft ist notwendig, die die notwendige „Große Transformation“ aller Gesellschaftsbereiche, hin zu zukunftsfähigen, nachhaltigen Strukturen noch rechtzeitig auf den Weg bringt. Erster Schritt könnte ein Strategiekongress sein, der die Kräfte der ökologischen Wende zusammenführt und ein breites gesellschaftliches Bündnis für den Wandel initiiert.
Es braucht eine politische Heisszeit, um die drohende apokalyptische Klima- Heisszeit doch noch zu verhindern.
Der Hambacher Forst ist ein Symbol des notwendigen Wandels: er bindet CO2 aus der Luft und hält die Kohle unter der Erde, er produziert Sauerstoff und einen frischen Wind von Mut und Gemeinschaft. Er zeigt, dass Widerstand nicht nur nötig, sondern auch möglich ist und wie schnell er wachsen kann.
Hambach ist mehr als ein Wald in NRW, Hambach ist in den Köpfen und Herzen, Hambach ist längst überall.
Jürgen Tallig 2018 tall.j@web.de
https://earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com/

Der Artikel wurde als Leserbrief in der "Zeit" und in diversen Umweltzeitschriften veröffentlicht.