Die Freiheit der Anderen

Die drohende Klimakatastrophe erfordert nicht nur einen klimaneutralen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, sondern zuallererst eine grundlegende Erneuerung der Demokratie

 

Der denkwürdige Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Klimagerechtigkeit, der neue aufrüttelnde Bericht des Weltklimarates IPCC und der Katastrophen-Sommer mit seinen Fluten und verheerenden Waldbränden sowie die offensichtlich erheblich destabilisierte atmosphärische Zirkulation (https://www.oekologische-plattform.de/2016/09/kippelement-atmosphaerische-zirkulation/) haben das Klimathema nachdrücklich zurück in die öffentliche Wahrnehmung gebracht, nachdem die Coronakrise die eigentliche „Überlebensfrage der Menschheit" (Franz Alt) etwas in den Hintergrund gedrängt hatte.

Die Bundestagswahl wird ganz sicher eine Klimawahl werden (80 % der Wähler wollen mehr Klimaschutz) und hoffentlich der Beginn einer demokratischen Erneuerung und eines grundlegenden gesellschaftlichen Wandels.

Die weltweiten verheerenden Waldbrände der letzten Jahre, neue Temperaturrekorde in der Arktis, immer schneller tauender Permafrost usw. machen deutlich, dass der Klimawandel außer Kontrolle gerät und offenbar dabei ist, zu einer irreversiblen Klimakatastrophe zu werden. Es steht inzwischen viel mehr auf dem Spiel, als allgemein bekannt ist,- es droht eine sich selbst verstärkende Aufheizung der Erde und das Abrutschen in eine lebensfeindliche Heisszeit. Doch von der Erreichung der Pariser Klimaziele, die Erderwärmung auf 1,5 Grad, zumindest auf deutlich unter 2 Grad zu begrenzen sind wir nachwievor himmelweit entfernt.

Das bahnbrechende Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 29. April 2021 hat immerhin klargestellt, dass das Klimaschutzgesetz nicht ausreicht, um die kommenden Generationen vor einer globalen Erderwärmung von 2 Grad und mehr zu schützen. Die Lasten des dringend notwendigen Klimaschutzes werden derzeit in die Zukunft verschoben, auch vom Weltklimarat IPPC, auf die nächsten Generationen, die ohnehin von der kommenden Klimakatastrophe in voller Härte getroffen werden. Das ist ungerecht und muss geändert werden.

Die Freiheit der Anderen

Der vom Gericht zitierte Sachverständigenrat für Umweltfragen stellte fest, dass das verbleibende CO2- Budget sehr bald aufgebraucht sein wird (etwa 2028) und eine klimaneutrale Wirtschaft und Gesellschaft deshalb sehr viel eher, als in den bisherigen klimapolitischen Planungen vorgesehen, erreicht werden muss (Umweltrat mahnt schwere Defizite in der deutschen Klimapolitik, 15.05.2020, energiezukunft). Und darum geht es eigentlich: die bisherigen Klimaziele sind unzureichend,- dass sie auch noch unkonkret und schwammig sind, ist dabei nur eine Marginalie. Auch eine Konkretisierung des Klimagesetzes und eine „Verschärfung" des Ziels der Klimaneutralität von 2050 auf 2045 ändert daran nichts. Es ist ja längst fraglich, ob wir überhaupt noch ein „Recht" auf Emissionen haben oder ob wir damit nicht grundgesetzwidrig die Freiheit der kommenden Generationen verspielen (siehe Bundesverfassungsgericht).

„Die Freiheit aller kommenden Generationen steht mittlerweile auf dem Spiel, denn unsere angemaßte und missbrauchte Freiheit bedeutet nicht weniger als ihre künftige Unfreiheit. Wir schaffen Tatsachen, die von den kommenden Generationen nicht wieder korrigiert werden können und ihre Lebensmöglichkeiten und Handlungsspielräume auf ein Minimum reduzieren. Unsere angeblichen Freiheitsrechte auf Reichtum, Konsum und Mobilität gefährden nicht nur die Freiheit, sondern die grundlegenden Menschenrechte unserer Kinder und Enkel auf Leben und Gesundheit, denn durch unser Nichthandeln versäumen wir gerade die letzte Möglichkeit für eine Begrenzung der Klimakatastrophe."

(Dies schrieb Jürgen Tallig bereits 2018, siehe „Ungerechtigkeit im Treibhaus oder die Freiheit der Anderen", Tarantel 87, 2019, Libell 175 sowie auf scharf-links und auf earthattack-talligsklimablog).

Die bisherige Klimapolitik bedeutet noch ein Vierteljahrhundert mit weiteren Treibhausgasemissionen, obwohl die Welt schon jetzt buchstäblich in Flammen steht, wie die weltweiten verheerenden Waldbrände der letzten Jahre zeigten (Planet in Flammen, WWF, 2020). Trotzdem stellt sich die etablierte Politik hin und sagt: „Wir werden weiter Öl und Benzin ins Feuer der Erderhitzung schütten. Doch in diesem Jahrzehnt sollen es 55 oder sogar 65 Prozent weniger sein und in 30 oder 25 Jahren hören wir dann ganz damit auf." Das ist doch absurd!

Weitere Brandbeschleunigung wird als Löschen des Feuers, weiteres Anheizen der Klimakatastrophe wird als Klimaschutz verkauft. So etwas tun eigentlich nur Verrückte, Geldjunkies oder Versicherungsbetrüger.

Beim Klima wird mit Zielen in 10, 25 oder 30 Jahren jongliert, als würde die Katastrophe so lange weiter auf Sparflamme köcheln. Die Verantwortlichen haben den Ernst der Lage offenbar immer noch nicht begriffen.

Eine exklusive Freiheit nur für uns, die die unübersehbaren Imperative (Forderungen) der Klimakatastrophe und des Artensterbens weiter ignoriert und die Freiheit der Anderen negiert, ist letztlich sogar tödlich, - sie könnte das Ende des Lebens bedeuten.

Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, -das war es nun dreißig Jahre lang-, sondern möglicherweise schon sehr viel später.

Das australische National Centre for Climate Restoration in Australien gab bereits im Februar eine Studie heraus, die belegt, dass selbst das 2°C-Limit nur mit sehr viel drastischeren Maßnahmen eingehalten werden kann, als derzeit von den Regierungen beabsichtigt ( deutsche Version ).

Denn die derzeitige weltweite Konzentration von Treibhausgasen reicht bereits für eine Erderwärmung um 2 Grad und mehr aus. 2 Grad Erderwärmung könnten aber schon das sogenannte „Treibhaus Erde"-Szenario auslösen. Für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels gibt es gar kein CO-Budget mehr, das heißt es wären sofort und weltweit null Emissionen und eine massive CO-Rückholung notwendig. Um wenigstens das 2 Grad-Ziel doch noch zu erreichen, müssten die weltweiten Emissionen schon bis 2030 auf Null reduziert werden (plus CO-Rückholung). Alle späteren Ziele beinhalten nicht tragbare Risiken für die Menschheit und alle zukünftigen Generationen. Das Kohlenstoffbudget des eltklimarats ( P ) unterschätzt die aktuelle und zukünftige Erderwärmung, lässt wichtige Rückkopplungsmechanismen (Kipppunkte) des Klimas stems unberücksichtigt und trifft leichtfertige Annahmen in Bezug auf das Risikomanagement, z.B. betreffs CO2-Rückholung.

Die weltweiten Megabrände haben z.B. 2019 laut WWF weltweit etwa 7,8 Milliarden Tonnen zusätzliches Kohlendioxid freigesetzt, das entspricht einem Fünftel der jährlichen menschlichen Emissionen, was alle Einsparbemühungen konterkariert und zeigt, dass eine massive CO2-Rückholung durch Neupflanzungen längst völlig unmöglich ist. Eine Tatsache, die bisher bei den Budget- Berechnungen einfach ignoriert wird. All diese Erkenntnisse stellen auch die aktualisierten Klimapläne der Bundesregierung grundlegend in Frage.

Die eher kosmetische „Verschärfung" des Klimagesetzes und ein Green Deal für zusätzliches grünes achstum sind nicht ausreichend, um die Freiheit oder wenigstens das Überleben(!) der Kommenden zu sichern und das Klima- und Erdsystem noch im lebensfreundlichen Bereich zu stabilisieren.

Es geht längst nicht mehr um Null-Emissionen bis 2050 oder jetzt 2045 und eine Konkretisierung und bessere Planung dieser unzureichenden Ziele, sondern um Null-Emissionen bis spätestens 2035, wie Wissenschaftler und Klimabewegung fordern (Wuppertal Institut (2020). CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze. Bericht).

 

Der Preis der Klimakatastrophe

Die Eindämmung der Klimakatastrophe erfordert längst viel radikalere, einschneidende Veränderungen und muss zum vorrangigen Ziel gesellschaftlichen Handelns werden. Wir müssen zuerst endlich die „Unbequemen ahrheiten" und den dramatischen Ernst der Lage wirklich zur Kenntnis nehmen.

Die deutschen CO2- Emissionen liegen bspw. bei weit über 800 Millionen Tonnen, der deutsche Wald kann allerdings nur 80 Mill. t absorbieren (Tendenz stark abnehmend). Bei Einbeziehung der CO2- Rucksäcke all seiner Zulieferer und der globalen Aktivitäten seiner Konzerne, verursacht Deutschland jährlich etwa das Zwanzigfache dessen, was seine eigenen CO2-Senken aufnehmen können. Das ist ökologischer Imperialismus, der die Folgen seines Tuns externalisiert und die „Freiheit" des Südens und der Zukunft verbraucht.

Laut Umweltbundesamt verursacht eine Tonne O2 inzwischen Schäden in Höhe von 195 € und müsste also eigentlich auch so viel kosten,- kostet aber faktisch nachwievor fast nichts, jedenfalls viel zu wenig (etwa 35 €/t). Bei Einbeziehung der globalen Folgekosten durch die drohende Klimakatastrophe, müsste eine Tonne CO2 inzwischen bereits 680 Euro kosten, also etwa das 20 fache des aktuellen Preises (siehe Pressemitteilung des UBA Nr.63/2020 vom 21.12.2020).

Wenn man die Umweltschadenskosten in allen Bereichen konsequent berücksichtigen würde, dann würde sich das derzeitige fossil-mobil-globalisierte Geschäftsmodell schon längst nicht mehr rechnen und wäre als das Verlustgeschäft kenntlich, dass es eigentlich schon längst ist.

Maja Göpel weist in ihrem Buch „Unsere elt neu denken" auf eine interessante Studie hin, nach der die kostenlosen Leistungen der Natur noch 2007 fast das Dreifache des globalen BIP betragen haben, aber beständig abnehmen und die Verluste an Naturvermögen inzwischen größer sind, als das Wachstum des BIP (Robert Costanza et al,2014). Die sich ausweitende Klimakatastrophe vergrößert diese Verluste und Schäden beständig.

Die veränderte Atmosphärische Zirkulation vervielfacht die Gefahren und auch die Schäden. Mehr Feuchtigkeit in der Luft und höhere Temperaturen, sowie blockierte Wetterlagen (stehendes Wetter) und das häufige Aufeinandertreffen unterschiedlicher Luftmassen können, wenn alles zusammen kommt, verheerende Auswirkungen haben. Solch ein Ereignis, wie die verheerende Flut in Westdeutschland mit              30 Mrd. € an Schäden, fast 200 Todesopfern und noch vielen Vermissten, hat sich eigentlich niemand vorstellen können. Doch damit ist jetzt immer häufiger zu rechnen.

Die zu erwartenden Schäden müssen sowohl bei Waldverlusten, als auch bei Flutschäden um ein Vielfaches nach oben korrigiert werden und es braucht Jahre und Jahrzehnte (beim Wald), um die Schäden zu ersetzen, wenn dies überhaupt noch möglich ist. Von den unersetzlichen menschlichen Opfern zu schweigen.

Die Imperative der Klimakatastrophe

Die Klimakatastrophe und die Gefahr der Vernichtung des Lebens auf der Erde geben längst unübersehbar vor, was noch möglich und was nötig ist. Es geht um Sein oder Nichtsein im Reich der ehernen Notwendigkeiten die uns die Gesetze der Physik, speziell der Thermodynamik vorschreiben. Die weitere Missachtung der unabweisbaren Imperative der Klimakatastrophe, könnte tatsächlich der eg in die „Selbstverbrennung" (Schellnhuber) und das Klima- und Erdsystem irreversibel destabilisieren.

Wir werden erdsystemkompatibel sein oder wir werden nicht sein! Das bisherige Versagen der Klimapolitik gegenüber Macht- und Wachstumszwängen hat die verbleibenden Handlungsspielräume allerdings erheblich verengt. Die Eindämmung der Klimakatastrophe erfordert nunmehr dringend sehr viel entschiedenere Schritte und muss zum vorrangigen Ziel gesellschaftlichen Handelns werden. Es reicht nicht aus, wenn wir uns nur anpassen, wir müssen versuchen das Klima- und Erdsystems wieder zu stabilisieren und vor allem sofort damit aufhören, es immer weiter zu destabilisieren.

Das derzeitige globalisierte Wirtschaftsmodell ist eine evolutionäre Fehlentwicklung, die nicht dauerhaft möglich ist und auf einer exzessiven Mobilität und einem mindestens zehnmal zu hohen Energie und Rohstoffverbrauch beruht und zunehmend die Reproduktion der Lebensgrundlagen zerstört. Die derzeitigen Strukturen sind weder zukunftsfähig noch resilent und äußerst verletztlich, wie schon die Coronakrise zeigte und wie der Unwetter-Sommer und die globalen verheerenden Waldbrände erneut auf bestürzende Weise verdeutlichten. Dürre und Hitze der letzten Jahre haben auch in Deutschland sehr schnell die Wälder und die Landwirtschaft gefährdet. Auch Energieversorgung und das Transportsystem werden bei schweren Hitzewellen schnell an ihre Grenzen kommen. All dies geschieht bereits bei einer offiziellen globalen Erderwärmung von „nur" 1,2 Grad,- was passiert dann erst bei zwei, drei oder gar vier oder fünf Grad…?

Wer meint, allein mit erneuerbaren Energien unsere Welt retten zu können und dabei unsere „ mperiale Produktions- und Lebensweise" beibehalten, Gewinner des globalen Monopol s zu bleiben und gleichzeitig das Klima schützen zu können, der lügt sich und anderen in die Tasche und verkennt den parasitären Charakter unseres Stoffwechsels mit der Natur (Metabolismus). Die Strukturen selbst sind in vielfacher Hinsicht zerstörerisch mit ihrem zugrundeliegenden gewaltigen Extraktivismus, Transport- und Verpackungsaufwand, mit all den ökologischen Rucksäcken, die in unseren Bilanzen gar nicht auftauchen; aber auch mit ihrem ungleichen Tausch, ihrer ungerechten weltweiten Arbeitsteilung und rücksichtslosen Markteroberung,- und ihrer kulturellen und geistigen Nivellierung. Die derzeitigen Strukturen sind befangen in einer Vielzahl von antagonistischen Widersprüchen, z.B. der Vernichtung von regionalen, kleinteiligen, nicht so produktiven, aber dafür nachhaltigeren Wirtschaftseinheiten zugunsten der großen, starken, weltmarktfähigen und weltmarktorientierten Strukturen, -was niemals nachhaltig oder klimafreundlich sein kann.

Die Verhinderung der Klimakatastrophe und weiterer Naturzerstörung erfordert nicht nur eine Dekarbonisierung, sondern vor allem eine sehr schnelle drastische Verringerung des Energie- und Rohstoffverbrauchs der Wirtschaften und der Gesellschaften, also eine absolute Verbrauchsreduzierung, die Vermeidung des Verbrauchs von Energie und Rohstoffen, die Vermeidung von Transporten und Verpackungen, -also zwangsläufig eine Deglobalisierung und Reregionalisierung und die Zurückdrängung von Globalisierung und Konzernmacht.

Die Affirmation des Bestehenden ist inzwischen längst die Affirmation der Katastrophe.

Die Menschheit steht vor der Systemfrage und sie muss sich sehr schnell entscheiden, ob sie das Klima- und Erdsystem im noch lebensfreundlichen Bereich stabilisieren will, oder ob sie mit einem wachstumsbesessenen Gesellschaftssystem ins Chaos einer lebensfeindlichen Heisszeit steuern will.Siehe hierzu der sehr interessante und informative Artikel von

Raul Zelik, Grüner Sozialismus – warum die Klimabewegung an den alten Debatten nicht vorbeikommen wird, Luxemburg Online, Januar 2021.

 

Neues Denken und Handeln jetzt

Die Frage ist, wie kann das Überlebensnotwendige gegen vermeintlich realpolitische Wachstumszwänge durchgesetzt werden, die angesichts der Klimakatastrophe zwar völlig irreal sind, aber das Handeln der mächtigsten Länder der Erde bestimmen? Als sei die Überlebenssicherung nicht der allerrealste Zwang, zumal wenn sie nur noch kurze Zeit möglich ist.

 

Wie kann man das bisher nachgeordnete Ziel der Erdsystemstabilisierung und der Erhaltung der Lebensgrundlagen, zum übergeordneten Ziel politischen und ökonomischen Handelns machen, ohne wie bisher, bei bloßen Willensbekundungen und Absichtserklärungen stehenzubleiben, deren Implementierung in die Realität der Globalisierung und Hypermobilität, bisher nicht möglich war.

 

Die Erde ist unser Handlungsrahmen und ihre Stabilität und ihr Funktionieren sind die Grundlage des Lebens und also auch des menschlichen Lebens. Deshalb muss diese Stabilität und dieses Funktionieren sichergestellt werden und kann nicht zufälliges Ergebnis Betriebs- oder volkswirtschaftlichen Kalküls sein.

Das Funktionieren der Erde muss diesen subsystemischen Interessen übergeordnet sein und Vorrang haben. Der Schutz des Klimas und die Stabilisierung des Erdsystems, als elementare Voraussetzung auch menschlichen Lebens auf der Erde, muss zum alltäglichen und übergeordneten Ziel gesellschaftlichen Handelns werden. „Earth first" könnte man sagen. Die Idee eines Neuen Denkens und Handelns, die in der Zeit der Hochrüstung und der drohenden Konfrontation zwischen den Machtblöcken, einen entscheidenden Durchbruch zur Abrüstung und Entspannung brachte, ist heute aktueller denn je.

War Neues Denken und Handeln damals eine Chance, die im Siegestaumel unterging, so ist es heute eine Überlebensnotwendigkeit. Schon damals wurde die Notwendigkeit formuliert und begründet, die Erde nicht der Anarchie und Willkür politischer und ökonomischer Einzelinteressen zu überlassen, sondern die gemeinsamen Interessen der Menschlichen Gemeinschaft angesichts der Globalen Bedrohungen in den Vordergrund zu stellen und dieser Gemeinsamkeit auch institutionelle Formen zu geben (KSZE, OSZE, UNO usw.). Wenn es damals möglich war, die festgefahrenen Positionen zu überwinden, dann muss es heute, angesichts der erneuten Gefahr der Selbstvernichtung, -diesmal nicht durch einen Atomkrieg, sondern durch die Klimakatastrophe-, erneut möglich sein. Genauso, wie es in einem Atomkrieg keine Sieger gibt, wird es auch in der Klimakatastrophe keine Sieger geben, deshalb muss das gemeinsame Interesse an ihrer Verhinderung, alle Differenzen überwinden und zu einem gemeinsamen, entschlossenen Handeln führen.

Wir spielen gewissermaßen Russisch- Roulette mit der Erde und haben noch nicht verstanden, dass der Revolver voll geladen ist. Wenn das System Erde erst einmal gekippt ist und die Welt zudem in Chaos und Barbarei versinkt, dann gibt es kein Zurück mehr. Es ist ein Ausdruck von Verblendung und Selbstüberschätzung (Hybris) zu meinen, wir könnten nachträglich einen planetaren Systemübergang rückgängig machen. Es ist an uns, das Spiel jetzt zu beenden und noch rechtzeitig abzurüsten. In einem Spiel, in dem es nur Verlierer geben kann, sollte man die Spielregeln rechtzeitig ändern. Wir müssen jetzt sofort alles tun, um den Kollaps der Biosphäre noch zu verhindern und um das System Erde wieder zu stabilisieren.

Eine vereinte und zum Überleben entschlossene Menschheit, hätte das ökonomische, menschliche und wissenschaftlich- technische Potential dazu. Es bedürfte allerdings eines gemeinsamen politischen Willens und einer gigantischen, globalen Umlenkung von Kräften und Ressourcen. Die Zeit für Neues Denken und Handeln ist gekommen und sie wird nur allzu bald wieder vorbei sein.

An der Machtfrage nicht vorbeimogeln

Politik und Wirtschaft agieren im gegebenen kapitalistischen strukturellen Korsett von Kapitalakkumulation, Verwertungs- und Wachstumszwängen, im ehernen Gehäuse der Megamaschine und gehorchen den Imperativen des Weltmarktes und nicht den Imperativen der Klimakatastrophe.

Alle wohlmeinenden Vorschläge und Forderungen zur Rettung des Klimas ignorieren zumeist die realen Machtverhältnisse,- die in Jahrzehnten gewachsene Vorherrschaft eines fossil-mobil-monetär-militärischen globalisierungsorientierten Machtkomplexes und eines korporativen Kapitalismus mit seinen Wachstumsinteressen, der die ganze Gesellschaft durchdringt.

Wer meint, die notwendige ökologische Revolution ließe sich ohne eine entsprechende politische Revolution und eine grundlegende Demokratisierung von Gesellschaft, Wirtschaft, Eigentumsverhältnissen und Finanzen bewerkstelligen, ist ahnungslos oder naiv.

Alle, auch die Umweltverbände, die Wissenschaft und die Klimabewegung, versuchen sich an dieser Machtfrage vorbeizumogeln und reden von der Politik, die „nun endlich handeln" müsse – als hätten sie keinen Schimmer davon, dass die Politik seit Jahrzehnten handelt, aber im Interesse der großen Unternehmen, des großen Kapitals und des Wirtschaftswachstums, was niemals wirklich zur Wahl steht. Auch diesmal hat man offenbar nur die Wahl zwischen verschiedenen Wachstumsprogrammen zugunsten der Großkonzerne, was dasselbe ist wie die Wahl zwischen Pepsi Cola und Coca Cola, die ja beide nicht wirklich gesund sind.

Statt weiter auf die wirtschaftsfreundlichen Parteien zu hoffen, wäre eine breite Bürgerbewegung und eine wirkliche Wahlalternative für entschlossenen Klimaschutz notwendig. Es geht um den Aufbau einer starken Gegenmacht, einer politischen Bewegung, die tatsächlichen Druck auf die etablierte Politik auszuüben kann und eine wirkliche gesellschaftliche Alternative anstrebt.

 

Die Klimabewegung muss sich öffnen und die ganze Breite der Gesellschaft erreichen und mobilisieren, ganz unabhängig vom Alter und von der politischen Herkunft. Ob die Klimalisten schon die nötige breite Unterstützung mobilisieren und sich als Alternative und neue Sammlungsbewegung etablieren können, ist zwar zu hoffen, aber angesichts der derzeitigen Zersplitterung der Alternativbewegung keineswegs sicher.

„Leben für die Zukunft - Zukunft für das Leben" oder „Zukunft für Alle- Alle für die Zukunft", das wäre das Leitmotiv für ein Bündnis für Klimaschutz, Demokratie und soziale Gerechtigkeit, für eine „Alternative für das Leben" (siehe Jürgen Tallig, „Aufbruch 21- Eine Alternative für das Leben" Rabe Ralf Februar/März 2021, S.15, scharf-links, Tarantel 91/92, 2021, https://earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com).

 

Ein wirklicher Aufbruch 21 braucht wohl noch Zeit,- die wir aber längst nicht mehr haben. Bis zu den nächsten Wahlen können wir eigentlich nicht mehr warten…? Man kann sich ja mit dem alten Anarcho-Spruch trösten: „ Wenn Wahlen was ändern würden, dann wären sie längst verboten." Um die „Freiheit" (Bundesverfassungsgericht) auch für die Zukunft zu sichern, muss wohl zuerst die Freiheit einer wirklichen Wahl und Entscheidung in der Gegenwart erkämpft werden.

Die Erneuerung der Demokratie

Die Kinder und Jugendlichen von heute (ja, Wahlalter ab 16!), die kommenden Generationen und die Natur sind in unserer Demokratie faktisch nicht vertreten, während finanzstarke Interessengruppen mit ihrer Lobbyarbeit die Demokratie aushöhlen und wesentliche Entscheidungen (siehe Autogipfel) in informellen, nicht demokratisch legitimierten Machtstrukturen fallen (siehe Thilo Bode, Die Diktatur der Konzerne, 2018. Notwendig ist eine demokratische Reform des Politischen Systems die Schaffung eines Ökologischen Rates, eines Ökologischen Oberhauses ( der/das Richtlinienkompetenz hat und den Rahmen eines nachhaltigen Stoffwechsels mit der Natur ermittelt und vorgibt, innerhalb dessen die gesellschaftlichen Akteure unter Beachtung der Interessen der kommenden Generationen und der Imperative der Natur agieren können.

 

Der Vorschlag wurde schon vor 30 Jahren von Rudolf Bahro in die Debatte eingebracht. Heute ist die Zeit möglicherweise reif dafür. Weiterhin müssen grundsätzlich demokratisch nicht legitimierte Sonderinteressen und informelle Machtstrukturen, wie die des Großkapitals, der Finanzlobbys, der Großkonzerne, die ein Interesse an der Aufrechterhaltung und der Fortsetzung des Status Quo haben und dies mit ihren Machtmitteln anstreben, demokratischer Kontrolle unterworfen, eingegrenzt und entmachtet werden.

 

Deshalb sollte die direkte Demokratie eine viel größere Rolle spielen und nicht als lästiger Ballast entsorgt werden, wie es die Grünen gerade praktizierten. Der Bundesweite Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl, u.a. für das Recht auf bundesweite Volksentscheide und mehr Klimaschutz, verdient alle Unterstützung. Der Bürgerrat ist auch ein sinnvolles Instrument, um überhaupt eine öffentliche Debatte gesellschaftlicher Fragen zu erreichen,- allerdings ist er unverbindlich.

 

Möglicherweise könnte jetzt auch die überfällige Verabschiedung einer neuen gesamtdeutschen Verfassung Sinn machen und einen notwendigen Diskussionsprozess anstoßen und so einen Demokratisierungsimpuls geben. Siehe hierzu auch der Verfassungsentwurf des Runden Tisches, an dem ich gemeinsam mit der „Demokratie- nitiative 90" bei der Ausgestaltung der direktdemokratischen Elemente mitgearbeitet habe.

 

Es gilt, die Debatte über eine wirkliche gesellschaftliche Alternative wiederzubeleben, über eine sozial gerechte, lebensdienliche Ökonomie, die nicht länger die Natur, den Süden und die Zukunft zerstört. Es gilt eine breite Öffentlichkeit zu überzeugen, dass eine andere, bessere Welt nicht nur immer dringender nötig, sondern auch möglich ist und wie diese andere Welt und die Wege dahin aussehen könnten.

 

Um das Feuer der Klimakatstrophe zu löschen, ist ein wirklicher Machtwechsel und ein grundlegender Um-Rück- und Neubau der Gesellschaft notwendig. Es geht um den Aufbau einer Gesellschaft, deren zentrales Paradigma nicht Wachstum um jeden Preis, sondern der Fortbestand des Lebens und der Menschheit ist. Einen ernsthaften Versuch sollte die Sicherung der Lebensgrundlagen, der Zukunft und des Überlebens der Menschheit schon wert sein. Lasst uns heute die Bäume pflanzen, lasst uns jetzt die Regeln ändern.

 

Jürgen Tallig 2021

 

Der Autor hat 1989 das Neue Forum in Leipzig mit gegründet. Weitere Informationen: E-Mail: tall.j@web.de, www.earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com

 

Literatur:

-Wuppertal Institut (2020). CO2-neutral bis 2035: Eckpunkte eines deutschen Beitrags zur Einhaltung der 1,5-°C-Grenze. Bericht 

 

-Gerhard Hübener, Transport muss zu einem wesentlichen Kostenfaktor werden, Klimareporter, 29. Januar 2019

 

-Birgit Mahnkopf: „Produktiver, grüner, friedlicher? Die falschen Versprechen des digitalen Kapitalismus". In: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2019

 

-Thilo Bode, Die Diktatur der Konzerne, 2018

 

-Winfried Wolf, Mobilität ohne Auto. Plädoyer für eine umfassende Verkehrswende In: Blätter für deutsche und internationale Politik 10/2018

 

-Robert Costanza et al, „Changes in the global value of ecosystems services", in Global environmental Change, 2014