(erschienen in Umwelt aktuell 12.2016/01.2017)

 

 

 

 

Rasante Zerstörung des Blauen Planeten

Der vom Menschen verursachte Turboklimawandel erfordert sofortiges Handeln

Der Pariser Klimavertrag sieht zwar bis Mitte des Jahrhunderts die Begrenzung der globalen Erwärmung auf 2 Grad vor. Realistische Prognosen gehen aber von einem Temperaturanstieg von bis zu sechs Grad in diesem Jahrhundert aus. Weil der anthropogene Klimawandel viel schneller als bisherige Klimaänderungen verläuft, droht der Kollaps der Biosphäre und entscheidender Regelkreise des Erdsystems wie des Kohlenstoff- und Sauerstoffkreislaufs.

Die Ziele des Pariser Klimavertrages, die Erderwärmung auf zwei oder gar 1.5 Grad zu begrenzen, stehen bisher nur auf dem Papier. Die realen Trends, lassen bis 2030, einen Anstieg der Emissionen auf jährlich 60 Gt CO2 erwarten, worüber man natürlich bis dahin verhandeln wird. Eine solche Entwicklung bedeutet eine Erderwärmung von 4-6 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts und eine irreversible Schädigung entscheidender Regelkreise des Systems Erde.

 

Beim bisher schnellsten natürlichen Klimawandel, dem Paläozän-Eozän-Temperatur-Maximum (kurz PETM) vor 56 Millionen Jahren wurden jährlich 4-6 Gt CO² freigesetzt, weshalb es zu einer Erderwärmung von 5 Grad innerhalb von 20000 Jahren kam.

 

Der Übergang von der letzten Eiszeit zur jetzigen Warmzeit dauerte 12000 Jahre.

 

Das sind für die Klimawissenschaft, abrupte, sehr schnelle Klimaänderungen.

 

Fünf Grad Erwärmung sind inzwischen auch für den derzeitigen Klimawandel wahrscheinlich, das allerdings in nicht einmal 100 Jahren.

 

Das ist keine sehr schnelle, sondern eine blitzartige Veränderung, ein abrupter Turboklimawandel, der 100 bis 200 mal so schnell verläuft, wie bisherige abrupte Erwärmungen der Erde. Beim PETM erwärmte sich die Erde um 0.025 Grad, also ein vierzigstel Grad in 100 Jahren.

 

Unsere Treibhausgasemissionen sind für einen „normalen" Klimawandel auch viel zu hoch, nämlich zehnmal so hoch wie beim PETM, deshalb verläuft der Temperaturanstieg viel schneller und deshalb verursachen wir keinen Klimawandel sondern eine Klimakatastrophe.

 

Wir führen gerade eine Art Blitzkrieg gegen das Leben und die Erde, der, falls wir ihn nicht schnellstens beenden, einen Kollaps der Biosphäre und damit des gesamten Erdsystems zur Folge haben wird.

 

Bei bisherigen Erderwärmungen hatten die Ökosysteme immer mehrere tausend Jahre Zeit für Anpassung und Verschiebung. Es kam zwar immer zu Artensterben und Artenwechseln, aber das Leben war nie grundsätzlich bedroht.

 

In nur 100 Jahren, kann sich das Leben nicht an derartig gravierende Veränderungen anpassen, dieser Zeitraum ist viel zu kurz. Es droht ein

Kollaps der Biosphäre.

Die Flora und Fauna des blauen Planeten erleiden längst das 6. Massensterben der Erdgeschichte. Die absolute Zahl der Wildtiere hat seit 1970 um 50 % abgenommen, was so ist, als wäre die halbe Menschheit ausgelöscht worden. Die Wildnis hat in nur 20 Jahren, eine Fläche von der Größe Indiens verloren.

 

Zudem sind die Ökosysteme schon geschwächt und beschädigt und stoßen überall auf die Begrenzungen der industriellen Zivilisation, wie Straßen, Bahnlinien, Felder, Siedlungen um nur einige zu nennen.

 

Eine sich aufschaukelnde Erderwärmung von fünf Grad und mehr in nur 100 Jahren verschärft die Lage noch einmal dramatisch. Sie lässt der Biosphäre nicht die nötige Zeit für Anpassung durch Wanderung oder Mutation. Einzig die Selektion funktioniert.

 

Bereits in seinem 4.Bericht prognostiziert der Weltklimarat bei einem Temperaturanstieg bis 3.5 Grad das Aussterben von 40- 70 % aller Tier- und Pflanzenarten.

 

Besonders betroffen sind die, für Klima und Artenvielfalt so wichtigen Wälder.

 

4-5 Grad Erderwärmung bedeuten eine Verschiebung der Klimazonen um etwa 1000 Kilometer polwärts (Schellnhuber, 2015) sowie eine erhebliche Veränderung der Niederschlagsmuster und das in einem Zeitraum von nur 100 Jahren.

 

Jedes Kind versteht, dass in so kurzer Zeit kein Wald so weit weg kann und dass Pflanzen vertrocknen, wenn sie zu wenig Wasser kriegen. Die großen Wälder sind schon schwer geschädigt. aber auch das Leben in den Ozeanen ist durch Erwärmung und Versauerung schwer beeinträchtigt. Es droht der weitgehende, unersetzliche

Verlust entscheidender ökosystemischer Leistungen.

Dazu gehören die Produktion von Sauerstoff und die CO2- Aufnahme und Umwandlung. Allein die Regenwälder binden 30% des atmosphärischen Kohlendioxids.

 

Die Entwicklungen sind dramatisch:

 

2005, 2007, 2010 und 2016 war der Amazonas-Regenwald von schweren Dürren betroffen. Die monatelange Trockenheit hat 2005 ein Drittel des Waldes absterben lassen, 2010 waren 50% betroffen. Während der Dürren „emittierte" der Wald riesige Mengen an CO2-, die den Gesamtemissionen der USA entsprachen. Gleichzeitig verringerte sich die CO2-Aufnahmefähigkeit der „Grünen Lunge" der Erde in nur 10 Jahren um 30 %.

 

Auch die Borealen (Nordischen) Wälder sind durch Temperaturanstieg und Trockenheit schwer geschädigt, (auf Satellitenaufnahmen zeigen sich große Flächen braun verfärbt) und bereits seit 2000 von einer Senke zu einer Quelle von CO2 geworden. All dies führt zur Dysfunktion entscheidender Regelkreise des Erdsystems. Der Kohlenstoff- und der Sauerstoffkreislauf sind längst völlig aus dem Gleichgewicht.

Die Folge sind ein CO2- Überschuss und ein Sauerstoffdefizit. Immer mehr Emissionen, aus immer mehr Quellen, steht immer weniger CO2- Aufnahme durch Senken und immer weniger Sauerstoffproduktion gegenüber.

 

 

Neben den Emissionen der Menschheit gibt es, auf Grund der Erderwärmung, immer mehr Emissionen aus natürlichen Quellen. 30% kommen jährlich noch aus Abholzung und Bodenzerstörung hinzu, dem „normalen" Wald- und Landverbrauch.

 

Die Erderwärmung steigert zudem die mikrobielle Zersetzung von organischem Material im Boden, was zu erhöhter CO2-Produktion durch Mikrobakterien führt.

 

Der auftauende Permafrost wird in den nächsten Jahrzehnten gigantische CO2-und Methan-Emissionen verursachen (die entscheidende Temperaturgrenze für ein tiefes Auftauen dürfte durch die dramatische Erwärmung der Arktis inzwischen überschritten sein).

 

Der vollständige Kollaps der Großen Wälder ist offensichtlich nur noch eine Frage der Zeit und würde die zweitgrößte CO2-Senke und den größten Sauerstoffproduzenten der Erde zu einer gigantischen neuen CO2-Quelle machen (Waldbrände und riesige Mengen verrottender Biomasse).

CO2-Pumpen der Ozeane immer schwächer

Die Weltmeere sind die bedeutendste CO2-Senke des Planeten, verlieren diese Fähigkeit aber allmählich. Sie haben bisher jährlich ca. 30% des zusätzlichen Kohlendioxyds aufgenommen. Inzwischen sind es nur noch 26% jährlich. In wärmeren und versauerten Ozeanen kann sich weniger CO2 lösen. Der Austausch der Wasserschichten ist schwer gestört und damit der CO2-Transport in die Tiefe. Die weitere Abnahme des Phytoplanktons reduziert gleichfalls die CO2-Aufnahme und gleichzeitig die Photosynthese. Sowohl, die chemische, die physikalische als auch die biologische CO2-Pumpe der Ozeane sind erheblich beeinträchtigt, was bedeutet, dass die Ozeane in Zukunft sehr viel weniger CO2 absorbieren werden als bisher (minus ca.30% noch in diesem Jahrhundert), mit zunehmender Tendenz.

 

Es gibt also einen zunehmenden Überschuss an ungebundenem CO2, was die Erderwärmung zusätzlich beschleunigt.

 

Es ist nicht erkennbar, wodurch diese Entwicklung später wieder zum Stillstand kommen

 

sollte und Quellen und Senken wieder ins Gleichgewicht gebracht werden könnten.

Gekippt ist gekippt und tot ist tot! Das lässt sich durch Geoengeneering nicht ersetzen.

 

 

Selbst wenn es 2050 Null Emissionen der Menschheit gäbe, wäre es zu spät.

 

Die Emissionen aus natürlichen Quellen würden weitergehen und die CO2-Senken wären irreversibel geschädigt

Verstetigte Aufheizung

Durch den Verlust der systemrelevanten Leistungen der Biosphäre, hätte die Erde nun keine

 

hinreichenden Mittel mehr, um CO2- Anstieg und Erwärmung wieder zu bremsen.

 

Die verbliebenen geochemischen Mechanismen, wie der Karbonat-Silikat-Kreislauf reichen offenbar nicht aus, den beständigen hohen Input an Treibhausgasen auszugleichen,- sie konnten ja auch den bisherigen schnellen Anstieg der CO²-Konzentration nicht verhindern und haben ihre Kapazitätsgrenzen offenbar bereits erreicht.

 

Der CO2-Eintrag und damit auch die Erderwärmung hätten sich verselbständigt und verstetigt. Durch Kippprozesse im Klima- und Erdsystem würde sich die Temperatur um weitere 6-8 Grad erhöhen. Die weitere Erwärmung der Erde, hätte überdies andere geochemische Prozesse zur Folge, z.B. die Freisetzung von Methanhydraten. Die würden nicht nur den Treibhauseffekt verdoppeln, sondern durch Oxydation den Ozeanen den Sauerstoff entziehen, wodurch diese als CO2-Senke ausfallen würden. Die Gefahr der „Selbstverbrennung" (Schellnhuber) ist offensichtlich real.

 

Die Menschheit hat den Ernst der Lage allerdings noch nicht wirklich begriffen. Sie verhält sich so, als ginge es um eine Erderwärmung von fünf Grad im Verlauf von 10000 Jahren und als sei noch alle Zeit der Welt. Dem ist aber nicht so!

Das Zeitfenster für eine Begrenzung der Klimakatastrophe schließt sich gerade

und es wird sich nicht wieder öffnen. Wir sind tatsächlich die letzte Generation, die die Katastrophe noch aufhalten kann wie Barack Obama zutreffend sagte.

 

Diese letzte Möglichkeit, zu versäumen, würde den „Fortschritt" zum Irrweg und größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte machen und zur Involution (Rückentwicklung, Einrollung) des Lebens auf der Erde führen.

Der Kampf um das Überleben der Menschheit, also für die Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Biosphäre und des Systems Erde muss jetzt mit aller Entschlossenheit geführt werden.

 

 

Die Umweltbewegung muss angesichts der Planetaren Katastrophe ihren defensiven Kooperationskurs gegenüber Wirtschaft und Politik aufgeben und Verantwortliche, strukturelle Ursachen und gesellschaftliche Alternativen klar benennen.

 

„Rettet das Leben!" könnte der Weckruf für einen neuen Aufbruch der Umweltbewegung sein und zum gesellschaftlichen Fanal werden, um das Allerschlimmste doch noch zu verhindern

 

Jürgen Tallig im November 2016 tall.j@web.de

 

Literatur:

 

H.J. Schellnhuber, Selbstverbrennung, 2015

 

WBGU, Die Zukunft der Meere- zu warm, zu hoch, zu sauer, Sondergutachten 2006

 

Lee R.Kump, Was lehrt uns die letzte Erderwärmung, Spektrum Spezial 4/2012

 

www.spektrum.de/artikel/1121040

 

Matthew Sturm, Hitzestress für die arktische Flora, Spektrum Spezial 4/2012

 

www.spektrum.de/artikel/1050012

 

D.Lingenhöhl, Verbrennt Amazonien dieses Jahr?, Spektrum der Wissenschaft 05.07.2016

 

WBGU, Klimaschutz als Weltbürgerbewegung, Sondergutachten 2014